Wasserreiche Ortsgeschichte Oberreute
An Grenzen und doch grenzenlos
Ein leiser Windhauch empfing mich an diesem Ort, der seinen Weg in einem anderen Land begonnen hatte, das doch so nah war. Er hinterließ einen feinen Schauer auf meiner Haut, wohl wissend, dass er von Straßen und Pfaden kam, die Geschichten erzählen konnten.
Ich war an einem Ort der Grenze und der Grenzerfahrung angekommen. Ein kleines Dorf, sehr hoch gelegen, eine Welt für sich und doch eine Schnittstelle, die den Übergang in ein anderes Land ermöglichte: Österreich.
Ich wollte mich auf die Pfade begeben, von denen der Windhauch gekommen war und von denen ich schon so viel gehört hatte. Die Spuren der Zeit, sie sollten hier wieder lebendig werden. Allerlei hatte man mir erzählt, von Grenzern und Schmugglern, Armut und listenreicher Tücke. Von Schicksalen, die sich an der Grenze entschieden und versteckten Wegen durch die Tiefe der Tobel.
Aber es war nicht nur die Grenze zwischen Nationen, die sich vor mir auftat. Der Wechsel zwischen Wiesen, Hochmooren, Tobeln und Wäldern, er bestimmte die Landschaft bis zu den Bergen. Hier lagen viele Grenzen aneinander, kleingliedrig, sie machten den Anschein eines perfekt gelegten Mosaiks. Es war bemerkenswert, zu was die Natur in ihrer Grenzerfahrung, im Kontakt zwischen den einzelnen Lebensräumen, in der Lage war. Aus diesem Mosaik, dieser Kleingliedrigkeit, ging ein komplexes Gebiet hervor, das vielen, auch seltenen Tier- und Pflanzenarten ihre Heimat gab.
Gleichzeitig lebte hier der Mensch im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz sowie Landschaftspflege. Eine Grenze, die immer wieder neu definiert werden musste, die kein starres Verharren kannte. Das Wirtschaftliche, das Torfstechen im Moor oder die Milchviehhaltung, es hatte der Natur auch Vorteile gebracht. Und ich begriff, dass viele Grenzen variabel waren, eine feine Gradwanderung. Wenn beide Seiten sich aufeinander einließen, dann entstand etwas Positives für alle Beteiligten.